Frankensteins Monster in Motion Capture zum Start der Poligonale 22

Neue Vorarlberger Tageszeitung, 28.07.2022

Ohne Worte, aber dafür mit viel Ausdruck und Körpersprache spielten Guylain Hemmer und Katrin Jaehne am Mittwoch eine moderne Frankenstein-Inszenierung von Thomas Welte.

Ausgestattet mit weißem Arztkittel und runder Hornbrille macht sich Guylaine Hemmer in der Rolle des Viktor Frankenstein ans Werk, um seine Kreatur zum Leben zu erwecken. Zum Publikum gewendet schreibt er Formeln auf eine imaginäre Tafel, stützt sich auf seinen Stock und vollführt in rein pantomimischer Darstellung die Schwierigkeit des Unterfangens. Das „Monster“ ist ein mechanisches Wesen, das mit dem Messer zusammengeschraubt und mit Stromstößen in Betrieb gesetzt wird. Natürlich klappt das nicht sofort, zum Vergnügen der Zuschauer.

Elektronische Untermalung

Ähnlich wie in Stummfilmen oder Animationen sorgt Bernd Satzinger mit E-Gitarre, Mikro und digitalen Sounds dafür, dass die Bewegungen der Schauspieler mit Tönen untermalt werden, was comichaft übertrieben und dadurch sehr komisch wird, aber zudem auch zum guten Verständnis der Handlung beiträgt. Denn bis auf ein rundes Metallgestell mit integriertem Holzbrett, das für die verschiedenen Szenen immer wieder neu angeordnet und flexibel als Operationstisch oder auch als Bartresen Verwendung findet, sind alle anderen Requisiten unsichtbar. Nach mehreren Szenewechseln will der Wissenschaftler seine Partnerin (Katrin Jaehne) an dem nun doch geglückten Experiment teilhaben lasesn, welche aber mehr an romantischen Liebesbekundungen interessiert zu sein scheint. Zwischendurch wird fröhlich getanzt, gesoffen und für den Zuschauer Unsichtbares aus dem schwarzen Zylinder gezaubert, während die durchaus graziös und unschuldig wirkende Kreatur (ebenfalls Katrin Jaehne) in ihren starren Bewegungen versucht, sich in der Welt zurechtzufinden, was zu Missverständnissen und auch zu körperlichen Auseinandersetzungen führt.

Humor und Zaubertricks

Das ganze Spiel ist durchzogen von Witz und humorvollen Einlagen und lebt von der hervorragenden Mimik von Guylaine Hemmer und absurden Szenen, etwa wenn der Kopf des Musikers als Desinfektionsspender zweckentfremdet wird oder die Kreatur zum Ende hin Amazon-Pakete ausliefert. Futuristisch wird es, wenn die Bewegungen der Kreatur im Motion-Capture-Anzug auf ein digitales Wesen in einer fiktiven dystopischen Welt auf der Leinwand übertragen werden und beide miteinander zu interagieren scheinen. Eine Szene, die von Satzinger mit dramatischer Musik gestaltet wird.
Doch kehrt die Inszenierung auch wieder zurück zum 1818 veröffentlichten Roman von Mary Shelley. Der Wissenschaftlicher macht mit einer Pistole Jagd auf das Roboterwesen und Hemmer wird schließlich in der Figur des Frankenstein von seiner Kreatur zu Tode gedrückt, welche die eigenen mechanischen Kräfte noch nicht völlig unter Kontrolle hat. Ein Tod von nicht allzu langer Dauer, denn in einer liebevollen Geste gibt das Wesen seinem Erschaffer das Leben wieder zurück.
Die Frankenstein-Inszenierung von Thomas Welte und Pan Selle bietet ein spannendes hybrides Theatererlebnis und öffnet einen Blick in die Welt der künstlichen Intelligenz mit all der Verwirrung und Desorientierung, in der sich fremde Wesen wiederfinden, wenn sie erst lernen müssen, wie menschliches Verhalten funktioniert.